Eines vorweg: Es geht nicht um die großen Speisepilze, sondern um die mikroskopisch kleinen Vertreter, die in unseren Gewässern leben.
Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) plädiert dafür, diese besser zu schützen. Das klingt unbedeutend und schwer umsetzbar, ist es aber beides nicht. Das große Reich der Pilze fristet ein Schattendasein neben den beiden anderen Reichen eukaryotischer Lebewesen – den Pflanzen und Tieren. Dabei gäbe es ohne die Pilze kein Penicillin, kein Bier und keinen Hefezopf. Ähnlich eines Verdauungsapparats befördern sie im Wasser die Zersetzung von Stoffen und sind zugleich Nahrung für Tiere. Bedroht sind aquatische Pilze beispielsweise durch eingespülte Fungizide, die sie eigentlich gar nicht bekämpfen sollen.
Verdauungsapparat des Gewässers
„Aquatische Pilze sind winzig klein, überall und wichtiger Teil des ‚Verdauungsapparats‘ in Gewässern“, sagt IGB-Forscher Prof. Hans-Peter Grossart, Autor der Studie. Sie kommen in allen Gewässertypen vor, in kleinen Pfützen, großen Ozeanen, sogar in Eis und Schnee. Es gibt nur grobe Schätzungen über den Anteil von Pilzen an den Mikroorganismen in den unterschiedlichen Gewässertypen – in Süßgewässern können sie vermutlich bis zu 50 Prozent der Kleinstlebewesen mit Zellkern ausmachen. Ihre Bedeutung: Aquatische Pilze „kauen vor“. Sie schließen die Nährstoffe aus totem Pflanzenmaterial auf und machen sie daher besser für andere Lebewesen im Gewässer verfügbar. Zusammen mit anderen Kleinstlebewesen sind sie ein wichtiger Faktor der sogenannten Kohlenstoffpumpe, da sie das Absinken von organischem Material bis in die Gewässertiefe steuern, wovon andere Lebewesen abhängig sind. Sie helfen auch beim Abbau von Schadstoffen: Im Jahr 2012 entdeckten Forschende im Amazonas erstmals einen Pilz, der Kunststoffe zersetzen kann.
Weitgehend unbekannt, daher „mikrobielle schwarze Materie“
Jedoch ist über kaum eine Organismengruppe auf unserem Planeten so wenig bekannt wie über Pilze in Binnengewässern. Forschende nennen aquatische Pilze daher auch mikrobielle schwarze Materie, wenn sie sich im Labor noch nicht anzüchten und vermehren lassen. Darüber hinaus wurden aquatische Pilze als potenzielle Schutzziele völlig vernachlässigt. „Bisher enthält die Rote Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN) nur Bewertungen für eine kleine Anzahl von Pilzen, und alle bewerteten Pilze umfassen auch nur terrestrische Makropilze“, erklärt Mariyana Vatova von der University of Algarve in Portugal. Sie ist eine der Hauptautorinnen der Studie. „Was solche Bewertungen erschwert, ist die Tatsache, dass viele Gruppen von Wasserpilzen nur unzureichend erforscht sind und viele Arten erst noch entdeckt und beschrieben werden müssen.“
Nicht nur Fungizide sind ein Problem
Die wenigen Studien, die sich mit den potenziellen menschlichen Auswirkungen auf aquatische Pilze befassen, konzentrieren sich fast ausschließlich auf Risiken durch Fungizide. Fungizide wirken nicht nur auf ihre beabsichtigten (meist terrestrischen) Ziele, sondern auch auf Nicht-Ziel-Arten und beeinträchtigen die Struktur der aquatischen Pilzgemeinschaften. Sie wirken sich negativ auf die Pilzbiomasse und -vielfalt aus und stören wesentliche Funktionen, wie die Zersetzung von organischem Material. „Noch beunruhigender ist, dass wir fast nichts über die anderen Gefahren wissen, denen sie wahrscheinlich ausgesetzt sind. Viele andere Schadstoffe könnten sich auf Pilze und ihre empfindlichen Netzwerke auswirken, wie Arzneimittel, Metalle, Mikroplastik und Nährstoffe“, so Hans-Peter Grossart. Darüber hinaus werden Pilze wahrscheinlich von den gleichen Faktoren wie andere Wasserorganismen beeinträchtigt, einschließlich der Verschlechterung von Lebensräumen, invasiven Arten und dem Klimawandel.
Große Wissenslücken
Solche Bedrohungen können nicht nur zum Aussterben von Arten in aquatischen Pilzgemeinschaften führen, sondern auch zu einem Rückgang der Populationen und sogar zu einem völligen Verlust ihrer Schlüsselfunktionen im Ökosystem, was letztlich zu Kaskadeneffekten in aquatischen Nahrungsnetzen führen kann. „Leider bleiben viele solcher Effekte aufgrund der Wissenslücken wahrscheinlich unentdeckt“, erklärt Dr. Ivan Jarić, der Initiator dieser Studie vom Biologiezentrum der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. „Solche verborgenen Verluste von Ökosystemfunktionen können die Situation weiter verschlimmern, da sie unsere Fähigkeit behindern, rechtzeitige und wirksame Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen.“
Schutzmaßnahmen an Besonderheiten von Pilzen anpassen
„Der Schutz von Wasserpilzen muss dringend als Priorität für die Bewirtschaftung von Gewässern anerkannt werden“, sagt Hans-Peter Grossart. Das sollte sowohl den Schutz der Pilzvielfalt als auch die Aufrechterhaltung ihrer wichtigen Ökosystemfunktionen umfassen.
Denn wahrscheinlich helfen den Pilzen oft die gleichen Maßnahmen wie anderen Lebewesen im Wasser: die Verringerung von Nährstofflast und Schadstoffen, die Kontrolle der Einschleppungswege invasiver gebietsfremder Arten in Gewässer, sowie die Identifizierung, der Schutz und die Wiederherstellung wichtiger Gewässer und Lebensräume für die aquatische Biodiversität. Solche Maßnahmen müssen jedoch möglicherweise an die Besonderheiten von Pilzen angepasst werden. „Es wäre daher wichtig, nicht nur auf die Verabschiedung strenger Maßnahmen gegen Verschmutzungsquellen hinzuarbeiten, sondern auch neue, standardisierte Pilz-Bioassays zu entwickeln und anzuwenden“, resümiert Hans-Peter Grossart.
Publikation: Aquatic fungi: largely neglected targets for conservation: Mariyana Vatova, Conrad Rubin, Hans-Peter Grossart, Susana C Gonçalves, Susanne I Schmidt, Ivan Jarić. Front Ecol Environ 2022; 20( 4): 207– 209, doi:10.1002/fee.249595
-Pressemitteilung IGB-