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Alte Schnur-Zwirbler

Technische Wunderwerke mit Holz- oder Bein-Griffen. Die Schnur-Zwirbler konnten per Schraubzwinge oder Gewinde am Tisch befestigt und auch in der Hand gehalten werden.

Es gibt ein uraltes Angel-Zubehör, dass teilweise noch aufwändiger konstruiert war, als die geliebte Angelrolle.

Gerhard Dee stellt den Schnur-Zwirbler, ein heute ausgestorbene Angelgerät, vor:

„Hallo Thomas, bei Angelschnüren gibt es heutzutage ja eine riesige Auswahl: Geflochtene und Monofile mit unterschiedlichen Tragkräften, in allen erdenklichen Farben und auf Spulen, die hunderte oder tausende von Metern fassen. Alles problemlos zu beschaffen und kein allzu großer Kostenfaktor.

Bis ins späte 19. Jahrhundert dagegen war es für viele Angler nicht so einfach, an Schnur für ihr Hobby zu kommen. Damals gab es erst sehr wenige Angelgeschäfte, die mit Eisenbahn oder Postkutsche oft nur umständlich zu erreichen waren. Außerdem gingen gebrauchsfertige Seiden- und Hanfschnüre – gemessen am damaligen Einkommen – ganz ordentlich ins Geld. Und selbst bei bester Pflege hielten diese Schnüre nur begrenzte Zeit und mussten häufiger ausgetauscht werden als moderne.

Wer sich das nicht leisten konnte oder wollte, stellte seine Leinen deshalb selber her. Dazu wurden überall leicht erhältliche Schweifhaare von männlichen Pferden mit kleinen „Dreh-Maschinchen“, dem Schnur-Zwirbler, zu angeltauglichen Schnüren zusammengeflochten.

Ein paar solcher „-Schnur-Zwirbler“ habe ich einmal fotografiert. Es gibt sie mit Schraubgewinde, Schraubklemme oder Handgriff. Ihre Gehäuse sind geschlossen oder offen. Sie haben drei oder mehr drehbare Haken, die per Kurbel und über Zahnräder angetrieben werden. Manche sind sehr aufwändig und filigran gearbeitet, richtige kleine Kunstwerke. Herzliche Grüße, Gerhard

P.S. Ein Wickelbrettchen mit geflochtener Pferdehaar-Schnur wurde übrigens während der    Hildebrandt´s-Auktion am 15.03.2024 bei Hans Wurm versteigert (Lot 100). Hätte gut zu den Wicklern gepasst, habe ich aber leider nicht bekommen.“

Hallo Gerhard, das sind ganz großartige Apparate! Die meisten Angler können sich überhaupt nicht mehr vorstellen, wie aufwändig es vor über 100 Jahren war, an geeignete Angelschnur zu kommen. Da musste so mancher Hengst seinen Schweif lassen, um geeignete Hauptschnur zwirbeln zu können. Pferdehaar wurden nur von männlichen Tieren genommen, weil hier das Haar durch den Urin nicht schon geschädigt war. Sechs bis zwanzig Haar wurden miteinander verklöppelt, die einzelnen, etwa 50 cm langen Stücke wurden dann mühsam mit einem Kreuzknoten miteinander verbunden. Zum Glück ging damals nicht mehr als 20m Shcnur auf eine Angelrolle. Schwarze Haare von Rappen wurden übriogens nicht verwendet, weil die dunkle Farbe die Fische abgeschreckt haben soll. Pferdehaare wurden angeblich deshalb verwendet, weil sie nicht so schnell mürbe wurden wie Hanf oder Seide.

Aber auch Seide oder Hanffasern wurden daheim geklöppelt. Die Schnur wurde dann von manchen Anglern auch noch gefärbt und mit Leinöl gefirnist, um sie halbwegs wasserfest zu machen. Auch kamen zuweilen andere Öle oder Wachs zum Einsatz. Zum Färben der meist weißen oder hellgrauen Pferdehaare kam ein Sud von gekochten Tannenzapfen, Zwiebelschalen oder Tee zum Einsatz. Nach dem Angeln musste die wertvolle Schnur immer runter von der Rolle, aufgespannt und getrocknet werden. Ein großer Aufwand! Beste Grüße, Thomas

Extra-Tipp: Es wäre eine Sünde alte Pferdehaar-Schnur von einer uralten Rolle zu entfernen. Manchmal ist die historische Schnur kulturgeschichtlich und auch monetär wertvoller als die Rolle selbst 😉

Infos, Fragen und Anregungen bitte an thomas.kalweit@paulparey.de

Sieben-, vier- oder dreifache Verzwirbelung. In die Ösen wurden die einzelnen Stränge Pferdehaar eingehängt und dann miteinander verdrallt.
Sieben-, vier- oder dreifache Verzwirbelung. In die Ösen wurden die einzelnen Stränge Pferdehaar eingehängt und dann miteinander verdrallt.
Dieser Schnur-Zwirbler konnte mit einer Zwinge an der Tischkante befestigt werden.
Dorn mit Gewinde: Dieses besonders hübsche Gerät wurde dauerhaft am Rand einer Werkbank eingeschraubt.
Technik, die begeistert: Die Seitenansicht des Zwirblers.
Vergleichbares Gerät aus einem Münchner Hildebrand-Wieland-Katalog von 1880.
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