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Seen „kippen“ ohne Vorwarnung

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Die Müggelsee-Messstation des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin erfasst physikalische und biologische Werte in engen Zeitabständen. Forscher nutzen die Daten, um Veränderungen von Gewässern künftig besser prognostizieren zu können. Bild: IGB/David Ausserhofer
Die Müggelsee-Messstation des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin erfasst physikalische und biologische Werte in engen Zeitabständen. Forscher nutzen die Daten, um Veränderungen von Gewässern künftig besser prognostizieren zu können. Bild: IGB/David Ausserhofer

Stehende Gewässer reagieren oft abrupt auf Umweltveränderungen wie steigende Temperaturen oder erhöhte Nährstoffkonzentrationen.

Werden bestimmte Grenzwerte erreicht, kann sich ein See plötzlich grün färben oder ganz „kippen“. Es kommt zu Algenblüten. Solche Veränderungen sind meist unumkehrbar und beeinflussen langfristig die Lebensgemeinschaften unter Wasser. Wissenschaftler vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben gemeinsam mit internationalen Kollegen getestet, welche Frühwarnsignale sich für die Prognose solcher Ereignisse in Seen eignen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie kürzlich in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Ökosysteme können sich plötzlich und grundlegend verändern. Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als Tipping Points (Wendepunkte). Sie können trotz nahezu gleichbleibender äußerer Bedingungen auftreten und führen in Seen zu bleibenden Veränderungen, sogenannten Regimewechseln. Theoretisch lassen sich derartige Regimewechsel mithilfe statistischer Frühwarnsignale vorhersagen. Doch wie zuverlässig sind die Signale?

Alarmsignale erkennen

„Tritt ein solches Ereignis in einem Ökosystem auf, ist es schwierig oder sogar unmöglich, die ursprüngliche Situation wiederherzustellen“, betont Prof. Dr. Rita Adrian, Mitautorin der Studie. Aus diesem Grund sei es wichtig, Alarmsignale für anstehende Veränderung frühzeitig zu erkennen.

Gemeinsam mit einem internationalen Team hat die IGB-Wissenschaftlerin verschiedene statistische Indikatoren in langen Datenreihen von Seen getestet, die als Frühwarnsignale gelten. Die Ergebnisse zeigen, dass Vorhersagen zwar funktionieren können, bislang jedoch nicht in allen Fällen auf natürliche Ökosysteme anwendbar sind.

Plötzlich auftretende Systemveränderungen

Für die Studie untersuchten die Wissenschaftler fünf Seen, für die jeweils Langzeitdaten über mehrere Jahrzehnte vorlagen, darunter der Müggelsee in Berlin und der Lake Washington in den USA. Alle Gewässer zeigten eine Gemeinsamkeit: Sie unterlagen plötzlich auftretenden und langfristig anhaltenden Systemveränderungen.

„Im Müggelsee sank beispielsweise 1990 die Biomasse der im See vorkommenden Algen abrupt und langanhaltend um fast die Hälfte“, sagt Adrian. „Einige Zooplankton-Arten wie zum Beispiel eine Copepodenart (Ruderfußkrebse) konnten wir daraufhin weniger häufig beobachten, eine andere Copepodenart breitete sich hingegen aus.“ Diese Veränderung an der Basis der Nahrungskette wirkte sich auf die Populationsdichten und die Artenzusammensetzung im See aus. Eine Verbesserung der Lichtverhältnisse im See förderte zugleich die Ausbreitung von Wasserpflanzen.

Bei einem Großteil der untersuchten Seen erkannten die Forscher tatsächlich Frühwarnsignale, in einigen Fällen sogar mehrere Jahre bevor die Veränderung eintrat. Insgesamt war die Aussagekraft der vier getesteten Frühwarnsignale (Autokorrelation, Verteilung, Varianz und Erholungszeit nach Störung) jedoch nicht eindeutig. Frühwarnindikatoren als Methode seien deshalb zwar vielversprechend, aber entgegen vieler Hoffnungen noch nicht für eine allgemeine Anwendung geeignet, lautet das Fazit der Forscher. Das macht es bislang unmöglich, schon vor einer potenziellen Krise entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Prognosen brauchen bessere Daten

„Wir können Frühwarnsignale nur entdecken und für das Gewässermanagement nutzen, wenn ausreichend Langzeitdaten für die betroffenen Seen vorliegen“, betont Rita Adrian. Dieses „Fenster in die Vergangenheit“ sei aber nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg: Die Methoden für die Datengewinnung müssen ebenfalls weiterentwickelt werden. „Automatisierte Messstationen, wie z.B. die Müggelsee-Messstation in Berlin, auf der physikalische und biologische Werte in hoher zeitlicher Auflösung erfasst werden, könnten es in Zukunft ermöglichen, Regimewechsel besser vorherzusagen“, sagt Rita Adrian.

Studie: Evaluating early-warning indicators of critical transitions in natural aquatic ecosystems, Alena Sonia Gsell, Ulrike Scharfenberger, Deniz Özkundakci, Annika Walters, Lars-Anders Hansson, Annette B. G. Janssen, Peeter Nõges, Philip C. Reid, Daniel E. Schindler, Ellen van Donk, Vasilis Dakos & Rita Adrian. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 23 November 2016 (Early Edition). http://www.pnas.org/content/early/2016/11/21/1608242113.full

-pm-

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