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Polardorsch wird erforscht

Aquarien mit Polardorschen an Bord des Forschungsschiffes Heincke. Bild: Johannes Schmitz

Im arktischen Spitzbergen haben rund 20 Forscherinnen und Forscher von sieben deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen im August Ausrüstungen und Labore für das Polarforschungsprojekt YESSS eingerichtet.

YESSS steht für Year-round EcoSystem Study on Svalbard. Unter der Führung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) soll YESSS neue Erkenntnisse zum Klimawandel bringen. Dafür wird ein kleines Forschungsteam – und das ist das Besondere – auch die langen, dunklen Jahreszeiten in der AWIPEV-Forschungsstation in Ny-Ålesund verbringen, der nördlichsten Siedlung der Welt.

Meerestemperatur doppelt so schnell erhöht

Es war ein zweiwöchiger Kraftakt: ankommen, auspacken, aufbauen, raus aufs Wasser, rein ins Labor. Bei trübem Regenwetter landeten die Forscher Anfang August in Ny-Ålesund am Kongsfjord, dem eigentlichen Forschungsterrain. Denn hier lassen sich die Folgen des Klimawandels so gut studieren wie kaum an einem anderen Ort der Welt. In der Arktis hat sich die Meerestemperatur doppelt so schnell erhöht wie in anderen Erdregionen. YESSS soll die saisonalen Aspekte dieser Erwärmung erforschen und wie diese sich auf Lebenszyklen, Nahrungssuche und Überwinterung von Pflanzen und Tieren auswirken, insbesondere in den dunklen Jahreszeiten. Denn darüber ist bislang nur sehr wenig bekannt.

Wasserproben aus bis zu 300 Metern

An der AWIPEV-Forschungsstation in Ny-Ålesund haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein umfangreiches Forschungs-Setup aufgebaut. Equipment und Material haben sie per Flugzeug und mit dem AWI-Forschungsschiff Heincke nach Spitzbergen gebracht. Jetzt beginnt das Standard-Messprogramm: Mit einem Boot fährt ein kleines Team auf den Kongsfjord hinaus und wird ab jetzt wöchentlich immer an denselben Stellen Wasserproben in Tiefen von fünf Metern bis zu 300 Metern nehmen. Gleichzeitig erfasst das Team Daten wie tiefenaufgelöste Temperatur oder Helligkeit. Die Wasserproben und die darin lebenden Organismen werden anschließend im Labor der Forschungsstation untersucht.

Das Forschungsschiff Heincke in arktischen Gewässern. Bild: Johannes Schmitz
Das Forschungsschiff Heincke in arktischen Gewässern. Bild: Johannes Schmitz

Temperaturempfindlichkeit wird untersucht

Dort sind Aquarien und Becken aufgebaut, in denen der zu erwartende Klimawandel simuliert wird. „In Parallelversuchen mit der gegenwärtigen sowie um drei und sechs Grad erhöhter Wassertemperatur untersuchen wir, wie die im Meer lebenden Organismen auf diese Temperaturerhöhung reagieren,“ erklärt Dr. Clara Hoppe, AWI-Biologin und Leiterin von YESSS. „Steigende Temperaturen sind ein Stressfaktor, der zu einem höheren Verbrauch von Ressourcen führt – mit Folgen für das gesamte Ökosystem.“ Diese Experimente zur Temperaturempfindlichkeit werden für Schlüsselgruppen im Nahrungsnetz durchgeführt: für Phytoplankton, mikroskopisch kleine Einzeller, die als Basis des Nahrungsnetzes dienen, aber auch für Makroalgen (z.B. Tang), Mollusken (z.B. Muscheln), Echinodermen (z.B. Seeigel) und für Fische (z.B. Polardorsch).

Polardorsch als Modellorganismus

Den Modellorganismus Polardorsch hat ein Forschungsteam in den letzten Wochen mit dem AWI-Forschungsschiff Heincke gefangen. „Wir sind Anfang August von Bremerhaven schnurstracks Richtung Spitzbergen aufgebrochen,“ sagt Dr. Felix Mark, Meeres-Ökophysiologe am AWI und Fahrtleiter der Expedition. „Auf dem Weg haben wir einige Proben von Zooplankton und Wasserproben genommen.“ Angekommen im Kongsfjord im Nordwesten von Spitzbergen hat das Team dann damit begonnen, jene Polardorsche zu fangen, die in den kommenden Monaten auf Spitzbergen und in Bremerhaven untersucht werden.

Um die 500 Fische hat das Team in einem Aquarium-Container auf der Heincke an die deutsch-französische AWIPEV-Station transportiert, wo Forschende mithilfe von Sensoren regelmäßig über mehrere Monate hinweg verschiedene Parameter der Tiere messen und dokumentieren werden, darunter Herz- und Stoffwechselraten, den Energiehaushalt oder ihr Wachstum in Gewicht und Länge.

Polardorsch ist noch häufig

Der Polardorsch gilt als der Fisch, der im Arktischen Ozean am häufigsten vorkommt – noch zumindest. Denn menschliche Einflüsse und der Klimawandel verändern seinen Lebensraum so stark, dass alle Stadien seines Lebens davon beeinflusst sind, von den Anfängen bei der Eiablage über die Fortpflanzung bis hin zum alltäglichen Leben. Diese Veränderungen haben wiederum einen Effekt auf das restliche Ökosystem, denn der Polardorsch ist beispielsweise fester Bestandteil der Nahrung für arktische Meeressäuger und der Selbstversorgung der Inuit. Unser Verständnis dieser Prozesse beruht bislang allerdings überwiegend auf Studien, die im Frühling und Sommer in der Arktis stattfinden.

Gewinner und Verlierer des Klimawandels

Auch auf die Originalproben der anderen Modellorganismen aus dem Kongsfjord sowie die im Labor gewonnenen Datensätze können alle beteiligten Forschungseinrichtungen und Unis zugreifen. Basierend auf den Daten zur Resilienz gegenüber höheren Temperaturen sowie anderen erfolgreichen Überwinterungsstrategien werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Ökosystemmodell entwickeln. Es soll potenzielle „Gewinner“ und „Verlierer“ des Klimawandels sowie Temperatur-Kipppunkte des Ökosystems zu verschiedenen Jahreszeiten identifizieren.

In Ny-Ålesund sind der Aufbau und die ersten Forschungsarbeiten für YESSS jetzt abgeschlossen. Verbleiben werden vier Doktorandinnen und Doktoranden, die in wöchentlicher Routine Proben nehmen und Messergebnisse bereitstellen werden. Alle sechs Wochen werden sie sich in Zweier-Gruppen auf der Forschungsstation abwechseln. Für diese jungen Forschenden beginnt damit auch eine spannende Herausforderung: den langen, dunklen Polarwinter am Kongsfjord zu erleben. Wie sie damit klarkommen und wie sie sich mit ihrer Forschungstätigkeit auch für den Klimaschutz engagieren, das werden sie im kommenden Jahr regelmäßig auf den Social-Media-Kanälen von YESSS dokumentieren.

-Pressemitteilung Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung-

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