Klonale Fische vermehren sich nicht sexuell. Wissenschaftlichen Theorien zufolge sind sie eigentlich anderen Arten unterlegen. Der Amazonenkärpfling – ein besonders erfolgreicher natürlicher Klon – beweist das Gegenteil.
Ein Forschungsteam unter Leitung des Biozentrums der Universität Würzburg mit dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat gezeigt, dass dieser kleine Fisch über hunderttausend Jahre hinweg einen Weg gefunden hat, mit den Herausforderungen seiner Herkunft und Fortpflanzung umzugehen.
Jungfernzeugung ohne Väter
Im Zuge der evolutionären Anpassung bilden sich Merkmale heraus, die für das Überleben oder den Fortpflanzungserfolg einer Art eher vorteilhaft oder nachteilig sind. Das geschieht durch natürliche Mutation und anschließende Selektion. Damit ein neues Merkmal weitervererbt werden kann, muss es eine genetische Basis besitzen. Hier ist die sexuelle Fortpflanzung im Vorteil, denn die Nachkommen tragen zu gleichen Teilen die Erbinformation von Vater und Mutter, die immer neue Kombinationen ermöglichen. Es gibt deshalb nur sehr wenige Wirbeltierarten, die sich klonal vermehren, also über Jungfernzeugung. Hierbei sind die Nachkommen genetische Kopien der Mutter – Väter gibt es nicht.
Hybride aus zwei Arten
Klonale Wirbeltiere sind ursprünglich meist aus zwei nah verwandten Arten entstanden, sie sind also Hybride. Eine dieser Arten ist der Amazonenkärpfling, benannt nach dem weiblichen Kriegerstamm der Amazonen aus der griechischen Mythologie. „Der Amazonenkärpfling ist wahrscheinlich auf ein einziges Tier zurückzuführen, die „Prima Eva“, die aus der Verpaarung eines weiblichen Atlantikkärpflings mit einem männlichen Breitflossenkärpfling entstanden ist“, berichtet IGB-Forscher Dr. David Bierbach. Amazonenkärpflinge existieren schon seit mehr als hunderttausend Jahren, obwohl sie gemäß wissenschaftlicher Theorien eigentlich ausgestorben sein müssten.
Dreifach schwer zu überleben
Klonale Hybride haben das Problem, dass sie zwei verschiedene Genome in sich tragen – eines von der Muttertier-Art und eines von der Vatertier-Art. Diese sind so unterschiedlich, dass sie miteinander konkurrieren oder sich sogar behindern.
Zwei weitere Aspekte sprechen dagegen, dass Arten, die sich klonal vermehren, dauerhaft existieren können: In jedem Erbgut treten irgendwann Fehler auf. Bei Lebewesen, deren Nachkommen reine Klone sind, müssten sich diese Fehler über die Generationen hinweg akkumulieren, bis es irgendwann keine gesunden Individuen mehr gibt.
Außerdem können sich diese Arten wegen der fehlenden Neukombination ihres Erbguts in der Regel nicht so schnell an veränderte Umweltbedingungen anpassen wie ihre Konkurrenten, die sich auf geschlechtliche Weise fortpflanzen. Im Laufe der Evolution, bei der das Prinzip „survival of the fittest“ (Überleben der Geeignetsten) gilt, sollten sie deshalb innerhalb weniger Generationen den Kürzeren ziehen.
Diese Studie zeigt, dass die Amazonenkärpflinge im Laufe ihrer hunderttausend-jährigen Evolution Wege gefunden haben, mit der „Bürde“ ihrer Hybrid-Herkunft umzugehen und sogar Anpassungen an den Lebensraum zu entwickeln. „Wir haben bereits in einer anderen Studie im Genom des Amazonenkärpflings wenige Anzeichen einer genetischen Degeneration gefunden, sondern vielmehr eine einzigartige genetische Variabilität und deutliche Beweise für eine fortlaufende Evolution. Nun konnten wir auch zeigen, dass diese Fische Mechanismen entwickelt haben, die beiden Genome erfolgreich zu regulieren“, sagt Professor Manfred Schartl von der Universität Würzburg.
Ausnahmeerscheinung Amazonenkärpfling
Das Team untersuchte, welche Gene von den Tieren aus ihrer DNA abgelesen, also „genutzt“ werden. Die Forschenden konnten zeigen, dass beim Amazonenkärpfling nicht beide Genome ihrer Vorfahren gleich häufig abgelesen werden sondern in vielen Genombereichen entweder das eine oder das andere Genom genutzt wird. Diese Regulation verhindert, dass sich die beiden Genome gegenseitig stören.
Sie verglichen außerdem die Nutzung der Gene von zwei verschiedenen Klonlinien. Zur Erklärung: Unterschiedliche Klonlinien entstehen durch natürliche Mutationen. Sie zeigten, dass alle Individuen einer Klonlinie ungefähr die gleichen Gene nutzen – gleiche Genexpressionsmuster aufweisen. Diese Genexpressionsmuster unterschieden sich aber im Vergleich mit den Individuen der anderen Klonlinie.
Die Klonlinien unterscheiden sich also nicht nur genetisch leicht, diese Unterschiede sind auch funktioneller Natur und nicht zufällig. Diese Konstanz der Expressionsmuster innerhalb einer Linie ist möglicherweise der bei Klonen bisher als fehlend angesehene Mechanismus, sich an ihre jeweiligen Lebensräume anpassen zu können.
Doppelt so viel Erbinformation
„Bei der erfolgreichen Anpassung helfen die beiden eigentlich konkurrierenden Genome vielleicht sogar – die Amazonenkärpflinge haben dadurch schließlich doppelt so viel Erbinformation zur Verfügung und die lange Evolution dieser Art hat dazu geführt, dass sie diese adaptiv steuern können“, interpretiert David Bierbach die Ergebnisse. Die Forschenden möchten nun untersuchen, wie die Unterschiede in der Genexpression zwischen den Klonlinien deren Verhalten und andere Aspekte ihres Lebens beeinflussen.
Publikation: Yuan Lu, David Bierbach, Jenny Ormanns, Wesley C. Warren, Ronald B. Walter, Manfred Schartl. 2021. Fixation of allelic gene expression landscapes and expression bias pattern shape the transcriptome of the clonal Amazon molly. Genome Research 31:1–8, genome.cshlp.org/content/early/2021/02/05/gr.268870.120.abstract
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