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Faulpelz oder Draufgänger


Auch bei Hechten gibt es Faulpelze und Draufgänger. Das Verwunderliche: Beide Charakter sind gleich erfolgreich.

Jeder Hecht verhält sich anders – das haben Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin jetzt herausgefunden.

15.02.2010

In den allermeisten Lehrbüchern zum Thema Angeln liest man: Alle Hechte sind standorttreue Einzelgänger. Doch offenbar gibt es auch bei Hechten die unterschiedlichsten Charaktere. Forscher am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben nun herausgefunden, dass der Hecht in der Lage ist, bei mangelndem Nahrungsangebot alte Gewohnheiten aufzugeben. Ein Team von Freiland-Fischökologen beobachtete drei unterschiedliche Verhaltenstypen innerhalb einer Hechtpopulation in einem Brandenburger See. Sowohl „faules“ Verhalten als auch eine „draufgängerische“ Lebensweise führten zu ähnlichem Körperwachstum der einzelnen Individuen. Veränderliche Lebensweisen sind ein Schlüsselprinzip, mit dem Fische auf steigende innerartliche Konkurrenz reagieren und so ihr Überleben sichern. Normalerweise ist der Hecht (Esox lucius L.) ein geduldiger „Faulpelz“. Als Lauerräuber verbringt er seine Zeit am liebsten in von Schilf bewachsenen Uferzonen und wartet, bis ein Beutefisch vorbeikommt. Große Schwimmaktivitäten im offenen Gewässer meidet er für gewöhnlich, so die Lehrbuchmeinung. In dem 25 Hektar umfassenden „Kleiner Döllnsee“ im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin hat eine Arbeitsgruppe um den Juniorprofessor Robert Arlinghaus nun zwei weitere, völlig andere Charaktere in ungewöhnlichen Lebensräumen beobachtet. Ermöglicht wurde die Untersuchung durch den Einsatz moderner Fischortungstechnologie. Insgesamt 20 Tiere wurde mit Peilsendern ausgestattet und ihre Position im Gewässer wiederholt über ein GPS-Gerät bestimmt. Über den Zeitraum von drei Monaten wurde jeder „Proband“ einmal in der Woche alle drei Stunden pro Tag mindestens einmal geortet. Die Aufenthaltsplätze geben Aufschluss über die Betriebsamkeit, Aktivität und Wahl der Lebensräume: Je öfter die Jäger ihren Standpunkt verändern und je weiter sie sich auf den offenen See hinauswagen, umso aktiver und risikofreudiger sind sie. Denn Hechte, die ihren Unterschlupf im Uferbereich verlassen, laufen Gefahr, kannibalischen Attacken anderer Konkurrenten zum Opfer zu fallen.

Die Forscher konnten in der natürlichen Hechtpopulation eine erstaunliche Vielfalt von bisher unbekannten Verhaltenstypen feststellen: Der klassische „Schilf-Typ“ verbringt die meiste Zeit bewegungslos im Röhricht. Ein aktiverer Artgenosse ist der „Unterwasserpflanzentyp“. Dieser hält sich in tieferen Ufergebieten auf, bleibt aber häufig in der Nähe von Unterwasserpflanzenbeständen, die Schutz- und Jagdrevier sind. Gänzlich abweichende Aktionsmuster zeigt der „Opportunist“. Vertreter dieser Gruppe wagen sich zur Jagd auf das offene Wasser, nutzen aber vermehrt die sichere Nacht. Die letztgenannte Strategie wurde vermehrt im späteren Verlauf des Jahres an den Tag gelegt, als die Verfügbarkeit von Nahrung im Untersuchungsgewässer immer stärker abnahm. Als regsamere Räuber verbrauchen die Opportunisten im Vergleich zu ihren Mitstreitern aber die meiste Energie. Stellt diese Strategie also ein Nachteil für den Hinterhaltsräuber Hecht dar, der in der Entwicklungsgeschichte eine Reihe von Merkmalen ausgebildet hat, die dem Fisch zwar explosive Attacken, aber kein effizientes Dauerschwimmen ermöglichen? Die IGB-Wissenschaftler konnten in ihrer Studie überraschender Weise feststellen, dass auch eine radikale Änderung der typischen Lebensweise zu mehr Aktivität insgesamt keine Nachteile für die anpassungswilligen Individuen nach sich zog. Ein für die aktiveren Tiere gesteigerter Energiebedarf bei der Jagd wird vermutlich durch einen höheren Beuteerfolg wieder wettgemacht. Insgesamt zeigen die Tiere aller Verhaltenstypen identische Wachstumsleistungen. Das ist von wesentlicher Bedeutung, da die Körperlänge bei Hechten eng mit der Überlebenswahrscheinlichkeit und der Fruchtbarkeit zusammenhängt. Die Antwort der Hechte auf knappe Ressourcen ist damit klar: Vielfalt statt Einfalt – ein cleveres Prinzip, nicht nur für Fische. Die beschriebenen Erkenntnisse sind publiziert als Kobler A., T. Klefoth, T. Mehner, R. Arlinghaus. 2009. Co-existence of behavioural types in an aquatic top predator: a response to resource limitation? Oecologia, 161, 837-847. Weitere Information siehe www.adaptfish.igb-berlin.de. -pm-

Foto: Andreas Hartl

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