Aktuelle Meldungen Fachleute fordern Kormoran-Management

Fachleute fordern Kormoran-Management


Lesen Sie die Kormoran-Erklärung des Fachausschusses „Aquatische Genetische Ressourcen“ (AGR) der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung vom 5. September 2007.

14.11.2007

In seiner Kormoran-Erklärung macht der AGR auf die Verluste der genetischen Ressourcen der Wildfischbestände durch den Kormoran aufmerksam. Der Fachausschuss setzt sich für ein europaweites Kormoranmanagement ein, das sowohl einem biologisch gesicherten Kormoranbestand als auch der Sicherung der biologischen Vielfalt der Fischbestände unserer natürlichen Gewässer Rechnung trägt. Folgende Erklärung wurde den Bundesministern Seehofer und Gabriel zugestellt:

Kormorane als Gefährdungsfaktor aquatischer genetischer Ressourcen

Der Kormoran (Phalacrocorax carbo) war um 1900 in deutschen Küstenbereichen noch relativ selten zu beobachten. Um diese einheimische Vogelart zu bewahren, wurde sie 1979 europaweit unter Schutz gestellt. Während es im Jahr 1980 erst 1.588 Brutvögel in der Bundesrepublik Deutschland gab, stieg ihre Zahl 15 Jahre später bereits auf 30.086 Brutvögel an. In den folgenden 10 Jahren erhöhte sich die Zahl nach den vorliegenden offiziellen Unterlagen immer weiter und erreichte im Jahr 2005 45.516 Brutvögel. Unter Berücksichtigung der für diese Art charakteristischen Vermehrungsrate muss heute mit weit mehr als 100.000 Kormoranen in Deutschland gerechnet werden. Europaweit wird die Zahl der Vögel, die einen großen Aktionsradius haben, auf etwa 2 Millionen geschätzt.

Diese enorme Bestandszunahme, die u. a. auf den Erlass der EU-Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG) im Jahr 1979 zurückzuführen ist, hatte auch eine erhebliche Ausdehnung des Verbreitungsgebietes im Binnenland zur Folge. Die obligatorisch fischfressenden Vögel, die kaum natürliche Feinde (z. B. Seeadler) haben, tauchen inzwischen auch an Gewässern in Gebieten auf, in denen sie früher nicht vorkamen. So gab es 1980 in Baden-Württemberg noch keinen Brutbestand, in Bayern betrug die Zahl der Brutpaare im gleichen Jahr lediglich 7. Im Jahr 2005 wurden in Baden-Württemberg 371 Brutpaare registriert, in Bayern sogar 544. Ähnliche Entwicklungen haben auch in anderen küstenfernen Bundesländern und außerhalb der deutschen Grenzen stattgefunden. Zunehmend betroffen sind Fließgewässer in Mittelgebirgsregionen mit den in ihnen lebenden Fischarten. Durch Einfälle von Kormoranschwärmen in Bäche und Flüsse insbesondere in den Wintermonaten, in denen stehende Gewässer eine Eisbedeckung aufweisen, ist es vielerorts zu erheblichen Verlusten an der Fischfauna gekommen.

Im vergangenen Jahrhundert lagen die Hauptgefährdungsursachen für viele Fischarten in den Binnengewässern vor allem in der Einleitung von Nähr- und Schadstoffen in die Gewässer sowie in der Veränderung der natürlichen Gewässermorphologie und der Abflussverhältnisse durch wasserbauliche Eingriffe. Eine Reihe von Arten oder Lokalvarietäten, wie z. B. der Atlantische Stör oder der Deutsche Lachs, sind im Ergebnis ausgestorben. Andere Bestände gerieten in massive Bedrängnis. Verstärkte Bemühungen zur Wasserreinhaltung und Renaturierung von Gewässern eröffneten in der jüngeren Vergangenheit verbesserte Perspektiven für die Stabilisierung solcher Bestände und die Wiederbesiedlung ehemaliger Lebensräume. Insbesondere lokale Populationen von Bachforellen, Äschen, Barben oder auch Quappen konnten sich dadurch wieder ausbreiten.

In krassem Gegensatz zu dieser allgemeinen Entwicklung steht nach den inzwischen vorliegenden Untersuchungen außer Zweifel, dass die Fischfauna vor allem in kleineren Fließgewässern durch den Kormoran bestandsgefährdend reduziert werden kann (1). Wie die Erfahrungen zeigen, sind die Fische auch in naturbelassenen Gewässerstrecken mit dichtem Uferholz nicht vor dem Kormoranfraß geschützt. Gewässerstruktur, Wassertiefe oder Gewässerbreite sowie die Nähe zum Menschen haben in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung.

Besonders leicht werden Äschen, Bachforellen und Barben vom Kormoran erbeutet. Sorgfältige Untersuchungen an Ulster, Schleuse, Werra, Ilm und Saale in Thüringen haben deutlich gemacht, dass bestimmte Fischarten durch den Kormoranfraß so stark beeinträchtigt werden können, dass der Fortbestand einzelner Populationen mit ihrem spezifischen genetischen Potenzial akut gefährdet ist (2, 3). Ähnliche Beobachtungen wurden auch in Sachsen-Anhalt gemacht. An einer Reihe von Mittelgebirgsflüssen in Nordrhein-Westfalen, wie z. B. Lippe, Ruhr und Wupper, haben parallel zur rasanten Zunahme der Kormorane insbesondere die Äschenbestände starke Einbrüche zu verzeichnen (4). Aus Österreich liegen ebenfalls sehr ernst zu nehmende Feststellungen über schwere Verluste vor allem an Äschenbeständen durch den Kormoran vor (5). Im baden-württembergischen Restrhein konnten Äschen und Bachforellen nur noch in Einzelexemplaren gefangen werden. Von den vorzugsweise im freien Hauptstrom lebenden Arten Nase und Barbe fehlen die für die Reproduktion wichtigen Altersklassen weitgehend oder vollständig. Mit einer solch deutlichen Reduzierung der Bestandsgrößen geht zwangläufig ein Rückgang an genetischer Diversität einher (6).

Fischbestände in größeren Fließgewässern und Seen werden durch Kormorane ebenfalls teilweise deutlich reduziert. Der Bestand des Europäischen Aals weist seit einer Reihe von Jahren aus verschiedenen Gründen inen schwerwiegenden Rückgang auf. Dies hat die EU-Kommission inzwischen zu Gegenmaßnahmen veranlasst, um die Art erhalten zu können. Durch intensive Erhebungen in den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass zusätzlich zu anderen Faktoren auch die Zunahme der Zahl der Kormorane einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung des Aalbestandes leistet (7).

Die durch den Kormoranfraß verursachten starken Fischverluste können den kompletten Bestand einer Art vernichten oder aber Populationen soweit schädigen, dass eine genetische Erosion entsteht, die deren Überlebensfähigkeit gefährdet. Die reduzierten Bestandszahlen veranlassen in wachsendem Maße Anglervereine dazu, Fische aus anderen, teilweise weit entfernten Regionen (auch Ausland) zu kaufen, um die Fischpopulationen der heimischen Gewässer durch Besatz zu ersetzen. Hierdurch besteht die Gefahr, dass die heimischen, genetisch lokal angepassten Fischpopulationen verfälscht werden oder sogar verloren gehen. Auch ist unklar, ob die eingesetzten Fische das genetische Potenzial haben, um auf Dauer sich selbst reproduzierende Populationen zu bilden. Weiterhin muss bei Besatz in vielen Fällen mit der Einschleppung von Krankheitserregern gerechnet werden. In Hinblick auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist es zu begrüßen, dass der Kormoran heute nicht mehr als gefährdete Vogelart angesehen wird und daher schon im Jahr 1997 aus Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie gestrichen werden konnte. Allerdings ist der Kormoran zum Kulturfolger geworden und hat sich mit einem stark angewachsenen Bestand in einem weit über das historische Ausbreitungsgebiet hinausgehenden Maß etabliert. In Anbetracht der Probleme, die der Kormoran für die Erhaltung der Fischfauna vieler heimischer Gewässer aufwirft, sieht es der Fachausschuss AGR als dringend notwendig an, Maßnahmen für ein europaweites Kormoranmanagement einzuleiten. Diese Maßnahmen sollen das Ziel haben, unter Beibehaltung eines biologisch gesicherten Kormoranbestandes Verluste an Genressourcen in der Fischfauna zu verhindern. Der Fachausschuss AGR betont nachdrücklich die Verpflichtung, die genetische Diversität von Fischarten in unseren Gewässern zu erhalten und zu sichern, um letztlich auch die Zielstellungen der FFH- und EU-Wasserrahmenrichtlinie erreichen zu können.

Literatur

(1) GUTHÖRL, M. (2006): Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo) auf Fischbestände und aquatische Ökosysteme – Fakten, Konflikte und Perspektiven für kulturlandschaftsgerechte Wildhaltung. Wildlife Weltweit, Rolbing, Frankreich, 251 S.(2) GÖRLACH, J. und MÜLLER, R. (2005): Die Bestandssituation der Äsche (Thymallus thymallus) in Thüringen. Arb. Dtsch. Fischerei-Verb. 82: 59-81.

(3) GÖRNER, M. (2006): Der Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo) und weiterer piscivorer Vögel auf die Fischfauna von Fließgewässern in Mitteleuropa. Artenschutzreport 19: 72-88.

(4) CONRAD, B., KLINGER, H., SCHULZE-WIEHENBRAUCK, M. und STANG, C. (2002): Kormoran und Äsche – ein Artenschutzproblem. LÖBF-Mitt. 27(1): 46-54.

(5) KOHL, F. (2005): Kormoranschäden an Forellen- und Äschengewässern – Beispiele aus Österreich. Arb. Dtsch. Fischerei-Verb. 82: 99-130.

(6) BLASEL, K. (2004): Einfluss der Kormoranprädation auf den Fischbestand im Restrhein. Studie im Auftrag des Regierungspräsidiums Freiburg, 38 S.

(7) BRÄMICK, U. und FLADUNG, E. (2005): Quantifizierung der Auswirkungen des Kormorans auf die Seen- und Flussfischerei Brandenburgs am Beispiel des Aals. Arb. Dtsch. Fischerei-Verb. 82: 82-98.

 

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